ZUSAS Zentrum für USA-Studien an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
English Versiontrennlinieeine Seite zurückfür Druck optimierte Seitezur Startseite
Über das ZUSAS  
grafik weisse trennlinie
Veranstaltungen  
grafik weisse trennlinie
Forschung  
grafik weisse trennlinie
Mitarbeiter  
grafik weisse trennlinie
Bibliothek  
grafik weisse trennlinie
Publikationen  
white border
Presse  
grafik weisse trennlinie
Links  
grafik weisse trennlinie
Kontakt, Anfahrt  
grafik weisse trennlinie
grafik weisse trennlinie
Amerikastudien  
in Halle
  
grafik weisse trennlinie
Universität Halle  
grafik weisse trennlinie
Stiftung Leucorea  
grafik weisse trennlinie

MZ                                           3. Oktober 2008

http://www.arte.tv/de/Wir-haben-ein-zwiespaeltiges-Bild-von-Amerika/
2251624,CmC=2246864.html


"Wir haben ein zwiespältiges Bild von Amerika"

Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen das Idealland für Projektionen und Sehnsüchte, Klischees und Missverständnisse: Es ist das Land der Cowboys, der Kopfjäger, der unbezähmten Natur, aber auch der ersehnte Kontinent.

Zum einen haben Millionen von Europäern ihr Glück in Amerika gesucht und gefunden, zum anderen haben sich kluge Köpfe ein Bild von der Neuen Welt gemacht, auch schon kurz nach der Unabhängigkeit der USA - und sind zu vernichtenden Urteilen gekommen. So schreibt der französische Philosoph Alexis de Tocqueville 1835: Ich kenne kein Land, in dem es derart wenig geistige Unabhängigkeit und wirkliche Diskussionsfreiheit gibt." Der Naturwissenschaftler George-Louis Leclerc de Buffon geht so gar noch weiter: Amerika sei sowohl primitiv wie dekadent, die Natur sei ungünstig, Pflanzen und Tiere seien alle kleiner und würden dort nicht gedeihen. Und selbst einer der größten Diplomaten des 19. Jahrhundert, Charles-Maurice de Talleyrand urteilt in seinen "Mémoires" über die Vereinigten Staaten, es sei ein Land von 32 Religionen und nur einem Essen ... und selbst das ist ungenießbar." Mit Professor Hans -Jürgen Grabbe, Direktor des Zentrums für USA-Studien der Martin-Luther-Universität in Halle, haben wir uns über das Bild Amerikas in Europa - früher und heute - unterhalten:

ARTE : Amerika ist weit, wild und ungebildet - dieses Bild von Amerika herrschte im 19 Jahrhunderts in vielen Köpfen der Europäer. Gilt das auch noch heute?
Prof. Dr. Hans-Jürgen Grabbe

Prof. Dr. Hans-Jürgen Grabbe, Direktor des Zentrums für USA-Studien der Martin-Luther-Universität in Halle

Hans-Jürgen Grabbe:
Das mit der Weite und der Wildnis muss man relativieren: Amerika ist mittlerweile ein beliebtes Urlaubsland, und die Wildnis ist in der heutigen Vorstellung der Europäer im Wesentlichen museal. Man fliegt nach Arizona, Colorado oder sonstwohin und schaut sich die großen Naturparks der Vereinigten Staaten an. Das dritte Klischee aber, die Amerikaner seien ungebildet, ist sehr weit verbreitet. Man könnte sogar sagen, dass es sich dieses Klischee seit seiner Entstehung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum verändert hat.

Wie kam es zu diesem Klischee?
Zum Teil sind die Einwanderer in Nordamerika selbst Schuld. Denn sie haben in der vorrevolutionären Phase, als sich die Meinung immer mehr verbreitete, man müsse die Unabhängigkeit anstreben und sich von Großbritannien und Europa lösen, das Neue und Junge besonders betont. Man schrieb der Alten Welt Korruption und Willkürherrschaft zu, bis hin zu monarchischer Diktatur. Die Neue Welt sollte sich in ihrer Unmittelbarheit, Unberührtheit und Reinheit davon abheben. Aus europäischer Perspektive hat man den jungen Vereinigten Staaten beziehungsweise zuvor Britisch-Nordamerika dann häufig ein naives Hinterwäldlertum zugeschrieben.

Galt das nur für eine bürgerliche Elite?
Im späten 18. und im 19. Jahrhundert galt das für das Bürgertum in seiner großen Breite. Allerdings muss man hier differenzieren: Die untere Mittelschicht hatte ja immer die Perspektive, nach Amerika auszuwandern. Sie hat in der Neuen Welt eine ökonomische Chance gesehen und sehr genau beobachtet, dass dort keine Klassenschranken mehr bestanden; für sie waren das wirtschaftliche Laisser-faire und das Gleichheitsgebot attraktiv. In diesen Widersprüchen zeichnet sich bereits das zwiespältige Amerikabild ab, das wir in Europa auch heute beobachten.

Auch ein gewisser Antiamerikanismus scheint tief verwurzelt in der deutschen Kultur. Woher stammt diese Abneigung?
Bis zum Zweiten Weltkrieg wirkte das Amerikabild des 19. Jahrhunderts stark nach, und das war geprägt durch die Vorstellung des deutschen Bürgertums, dass die deutsche Kultur und die deutsche Geisteshaltung - insbesondere Innerlichkeit, Tiefe des deutschen Gemütes - der amerikanischen Gesellschaft überlegen sei, weil dort ein oberflächlicher Materialismus herrsche. Dieser Gegensatz zwischen Materialismus und Innerlichkeit ist bis in die Weimarer Zeit hinein sehr stark gewesen. Denn im 19. Jahrhundert war Deutschland noch kein Nationalstaat, und in der Konkurrenz der großen Völker Europas und der Welt konnten die Deutschen nur mit Kultur "punkten". Andere "Leistungen" wie Eroberungen, überseeische Kolonien, eine große Flotte, die hatte man nicht vorzuweisen. Hinzu kommt, dass das deutsche Bürgertum zu einem guten Teil aus Beamten bestand, Menschen mit stabilem, aber relativ niedrigem Einkommen. Ihnen war die total ökonomische Ausrichtung des amerikanischen Wirtschaftslebens zutiefst suspekt.

Wie hat der Zweite Weltkrieg unser Amerikabild gewandelt?
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Amerikabild kurzfristig geändert. Die Vereinigten Staaten haben enorme Anstrengungen unternommen, insbesondere in Westdeutschland ein differenziertes Bild ihres Landes, ihrer Gesellschaftsordnung und ihrer Kultur zu verbreiten. Selbst die CIA hat sich damit herumgeschlagen, amerikanische Hochkultur hier in Europa bekannt zu machen. Das alles wurde von den Kultur- und Wirtschaftseliten in Westdeutschland begierig aufgesogen, u.a. weil es ein Gegenbild zum Dritten Reich war. Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten enorme Summen ausgegeben haben, um vor allem Schüler und Studenten in die Vereinigten Staaten zu holen und mit der amerikanischen Lebenswirklichkeit zu konfrontieren, in der Erwartung (die so gut wie nie getrogen hat) ein positives Amerikabild zu generieren.

Diese Wandlung war aber nur von kurzer Dauer?
Das war eine relativ kurze Phase, weil in den 1960er Jahren, vor allem in der zweiten Hälfte, mit der Eskalation des Vietnamkrieges, die Amerikakritik wieder in den Vordergrund tritt. Die war allerdings anders als die traditionelle Amerikakritik des deutschen Bürgertums: Sie war stärker politisch und entzündete sich daran, dass die Vereinigten Staaten, wie man glaubte, ein staatsmonopolistisch strukturiertes kapitalistisches Land seien und wegen dieser Vermischung von Staat und Großkapital nur zu einer imperialistischen Politik fähig seien. Das ist eine Kritik der deutschen und der internationalen Linken gewesen.

TEIL 2

In Frankreich ist Antiamerikanismus weit stärker ausgeprägt als in jeder anderen westlichen Nation. Allein zwei Drittel der Franzosen waren nach den Anschlägen am 11.September der Überzeugung, Amerika sei für den Anschlag selbst verantwortlich. Wie ist diese verzerrte Wahrnehmung zu erklären? Und woher rührt eigentlich die Affinität des derzeitigen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zu den Vereinigten Staaten? Wir fragten Hans-Jürgen Grabbe, Direktor des Zentrums für USA-Studien der Martin-Luther-Universität in Halle und baten ihn, einen Ausblick für die Zeit nach den US-Wahlen zu wagen.


ARTE: Anders als in Deutschland und anderen Ländern Europas ist die Amerikakritik in Frankreich nicht nur eine Angelegenheit der Linken, sondern in der gesamten Gesellschaft verwurzelt. Wie erklären Sie sich diese Feindseligkeit?
Hans-Jürgen Grabbe: Frankreich begreift sich als Großmacht, und zwar in einem Sinn, wie es dem Großmachtdenken des 18., 19. und frühen 20 Jahrhunderts entspricht. Frankreich möchte auf gleicher Augenhöhe Großmacht unter Großmächten sein und muss dafür Bereiche konstruieren, in denen es sich überlegen zeigen kann. Und ein zentraler Bereich der Überlegenheit ist die Kultur. Die französische Kultur, die "civilisation française", gründet sich im wesentlichen auf das Überlegenheitsgefühl der ganzen Nation. Hier gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Das führt immer wieder dazu, sich von den Vereinigten Staaten als Gesellschaft abgrenzen zu wollen.

Und dann macht der französische Präsident Nicolas Sarkozy Urlaub in New Hampshire, was vielen seiner Landsleute gar nicht gefällt.
Weil Sarkozy einen Paradigmenwechsel eingeleitet hat. Seine Affinität zu den Vereinigten Staaten liegt auch in seiner Persönlichkeit. Er gibt ja diesen zupackenden Typus, zum Teil bis ins Machohafte. Er kommt damit in den Vereinigten Staaten gut an, weil seine Selbststilisierung im Grunde die ist, die amerikanische Politiker vielfach pflegen. Denken Sie auch daran, in welcher Form Carla Bruni-Sarkozy herausgestellt wird - nämlich wie eine amerikanische Präsidentengattin. Und bis zu den Mänteln und Hüten wird hier doch das Vorbild Jacqueline Kennedy kopiert.

Einerseits gibt es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland eine Schwemme an amerikanischer Kultur - von Kinofilmen, Fernsehserien über die Musik bis zur Esskultur und gleichzeitig das Vorurteil vom ungebildeten Amerikaner. Ist das nicht eine Art Selbsttäuschung?
Da ist ein Stück Selbsttäuschung dabei. Wir beobachten seit den 50er Jahren eine Amerikanisierung unseres Kulturbegriffes. Die amerikanische Auffassung von Kultur war immer universal - alles, was Menschen mögen, womit sie sich in ihrer Freizeit befassen, vom Musikhören bis zum Besuch einer Sportveranstaltung sind Manifestationen von Kultur. In Deutschland hingegen haben wir immer getrennt zwischen Hochkultur und Populärkultur - und der Populärkultur oft den Kulturstatus völlig abgesprochen. Für die jüngere Generation um die 40/45 Jahre gilt diese Trennung nicht mehr unbedingt. Sie hören sich vielleicht ein Streichquartett an, schwärmen aber nach wie vor noch von den großen Popgruppen ihrer Jugend und kaufen sich vielleicht einen I-Pod. Oder nehmen Sie ein Phänomen wie YouTube, das jederzeit sogar über das Mobiltelefon verfügbar ist - alles das hat unsere Vorstellung von Kultur deutlich der amerikanischen angenähert.

Was prognostizieren Sie: Sollte Obama die Wahl gewinnen, wird sich unser Bild von Amerika wandeln?
Nein, das wird es auf gar keinen Fall, weil in Barack Obama sehr viele europäische Sehnsüchte hineinprojiziert werden - in einem Maße, wie er ihnen nicht gerecht werden kann und auch gar nicht gerecht werden will. Obama hat bei aller wahrgenommenen Exotik de facto sein ganzes Leben im amerikanischen Umfeld verbracht und wird eine Politik machen, die im Einklang mit den Überzeugungen der Demokratischen Partei steht. Und in dem Gesamtpaket demokratischer Politik sind sehr viele Dinge enthalten, die die den Europäern gar nicht schmecken werden.
Diese Unterschiede werden auch bestehen bleiben, weil die amerikanische Politik und Gesellschaft in ganz zentralen Bereichen einfach anders ticken. Unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen in Europa und den USA haben unterschiedliche Lebensentwürfe nach sich gezogen und zu unterschiedlichen Auffassungen in zentralen gesellschaftlichen und politischen Fragen geführt. Und das wird auch weiterhin so bleiben.

Interview: Grit Weirauch

platzhaltergrafik platzhaltergrafik

© 1995–2013 ZUSAS. All rights reserved. | Impressum | Disclaimer